Der Weg nach Xanadu : Roman

Steiner, Wilfried, 2003
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-458-17149-2
Verfasser Steiner, Wilfried Wikipedia
Beteiligte Personen Domsch, Sebastian Wikipedia
Systematik Lit/ - Belletristik nach Autoren A-Z
Schlagworte Lebensphilosophie, Literatur, Wissenschaft, Coleridge, Samuel Taylor, Recherche, Lit/Stein 001
Verlag Insel
Ort Frankfurt am Main
Jahr 2003
Umfang 287 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache Deutsch
Verfasserangabe Wilfried Steiner. Sebastian Domsch
Annotation Mehr als ein Campusroman / Wilfried Steiners "Der Weg nach Xanadu" Zuerst glaubt man, in einem österreichischen Campusroman gelandet zu sein. Da ist der Erzähler Alexander Markowitsch, ein übergewichtiger Professor, der beruflichen Erfolg mit zwischenmenschlichem Desaster vereint, und seine Leidenschaften zu gleichen Teilen auf die Autoren der englischen Romantik und auf Cremeschnittchen verteilt. Da ist der junge Hitzkopf, auch das Jüngelchen genannt, der mit seinem Promotionsvorhaben über Samuel Taylor Coleridge, das er so leidenschaftlich wie unakademisch vorträgt, unangekündigt in des Professors Büro platzt. Und während letzterer schon darüber nachdenkt, wie er sich aus diesem unerquicklichen Betreuungsverhältnis schnellstmöglich wieder herausreden könnte, taucht Anna auf. Anna ist die Freundin des Jüngelchens, der Professor wird augenblicklich vom Blitz gerührt, das bereits angefangene Cremeschnittchen bleibt ungegessen und das Schicksal kann seinen Lauf nehmen. Es ist die Geschichte vom Literaturprofessor Unrat, wie er sich zum Narren macht in seiner hoffnungslosen Verehrung für eine junge und begehrenswerte Frau. Sehr überzeugend zeigt Steiner zum Beispiel die Vorbereitung des Professors auf eine Abendeinladung des jungen Paars, die, wohl wissend, wie schnell er sich lächerlich machen kann, doch von irrwitzigen Hoffnungen getragen ist. Das Verhalten Annas an besagtem Abend gibt seiner Hoffnung allerdings weitere Nahrung, denn sie scheint ihn unterhaltsam, witzig und intellektuell anregend zu finden. Mehr könnte sich ein alternder Junggeselle seines Leibesumfangs kaum wünschen, aber so funktionieren Obsessionen nun einmal nicht. Markowitsch kann nicht anders, er muss Anna verehren, auch wenn seine Position am Institut ins Wanken gerät und die letzten Freunde sich von ihm abwenden. Diese Geschichte wird bereits von Anfang an durchbrochen von einer Reihe an Einschüben, die sich alle im Ton allgemeinverständlicher Einführungen mit dem Leben und Werk Coleridges befassen, vor allem mit dem Phänomen seines "annus mirabilis". Obwohl er, anders als die ihm nachfolgende Generation junger Dichter, nicht bereits um das berühmte dreißigste Jahr herum verstarb, sondern bis zum Alter von zweiundsechzig Jahren Gedichte schrieb, entstanden seine großen Werke alle in der Zeit von Oktober 1797 bis September 1798. Danach stürzte seine poetische Schaffenskraft zugleich mit seiner Beziehungsfähigkeit ab, während er seine Gesundheit mit Opium ruinierte. Das Rauschgift und die unglückliche Liebe zu Sarah Hutchinson sind die meistgenannten Gründe für das Ende von Coleridges Glanzphase. Das Jüngelchen bevorzugt die These vom übermächtigen negativen Einfluss Wordsworths auf seinen Dichterfreund, doch wie Markowitsch in seinen Einschüben konstatieren muss, eine wirklich schlüssige Erklärung gibt es bis jetzt ebenso wenig wie eine eindeutige Interpretation von Coleridges Gedicht "Kubla Khan". Dieses vielleicht rätselhafteste Gedicht der englischen Literatur ist eine Traumerzählung, und im Laufe des Romans wird auch das Leben des Professors von ebenso unerklärlichen wie hartnäckigen Träumen durchdrungen. Wie es scheint, wird seine Obsession für Anna überlagert von einem immer wiederkehrenden Traum eines merkwürdigen Zimmers, das er Nacht für Nacht im Schlaf sieht, und das ihn, den unbeweglichen, zu einer literarischen Spurensuche nach England bewegt. Dort werden schließlich alle Fäden zusammenlaufen, in einem kühnen und überraschenden Finale. Steiners Buch ist sehr intelligent geschrieben und funktioniert auf vielen Ebenen. Es ist eine unterhaltsame Geschichte aus dem Akademikermilieu, die vom ironischen Ton des Erzählers getragen wird, es ist ein zunehmend mysteriöser werdender Geistesthriller, in dem die Grenzen zwischen Realität, Imagination und Wahnsinn durchlässig werden, und es ist nicht zuletzt Hinführung zu einem faszinierenden und bei uns viel zu wenig bekannten Dichter. Das ist schon eine ganze Menge, und doch will der Roman noch mehr. Denn Steiners Buch ist nicht nur ein Roman über einen Romantiker, es ist auch der Versuch, einen romantischen Text zu schreiben. So folgen die Träume des Erzählers der Struktur romantischer Traumvisionen wie Percy B. Shelleys "Alastor", und die Zusammensetzung des Romans aus unterschiedlichen Textsorten erinnert an Schlegels "romantische Universalpoesie". Vor allem aber schält sich aus den unterschiedlichen Bedeutungsebenen schließlich als eigentlicher Referenzpunkt das Problem des poetischen Genies heraus. Über Imagination und Fantasie zu schreiben, ist das romantische Paradox par excellence. Praktisch alle großen Dichter der englischen Romantik beziehen ihre poetische Kraft aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem, was sich mit Worten und Sprache sagen lässt, und dem Unsagbaren, das sie damit auszudrücken versuchen. Die berühmtesten Gedichte dieser an berühmten Gedichten keineswegs armen Epoche wie etwa Wordsworths "Tintern Abbey", Keats' "Ode on a Grecian Urn", Shelleys "To a Skylark" oder eben Coleridges "Kubla Khan" und "Desolation" bersten alle unter dem Versuch, das nicht Sagbare zu sagen und der Erkenntnis, das es nicht möglich ist. Gerade dadurch werden sie einzigartige Kunstwerke. Das ist romantische Ironie. Dem Roman, der etwas Ähnliches versucht, muss daher die Sprache des Erzählers zum Problem werden, da sie, was fast bis zur letzten Seite verborgen bleibt, der heimliche Hauptdarsteller ist. Diese Drehung der Perspektive, die den Blick des Lesers ganz unvermittelt auf das dichterische Artefakt lenkt, ist wahrhaft romantisch im literarischen Sinn. Wo allerdings der problematische selbstreflexive Rückbezug bei den Romantikern zur Explosion der Bedeutungsvielfalt führt, droht beim Romancier, der seinem Erzähler eine von Lyrizismen triefende Sprache mitgibt, eher ein implosionsartiges Zusammenfallen. Bei Coleridge und seinen berühmten Zeitgenossen entbirgt jede neue Lektüre auch neue Deutungsmöglichkeiten, bei Steiner kann der Text nur mehr beim ersten Durchgang funktionieren. Der jedoch ist umso vergnüglicher, spannender und überraschender. *LuK* Sebastian Domsch

Leserbewertungen

Es liegen noch keine Bewertungen vor. Seien Sie der Erste, der eine Bewertung abgibt.
Eine Bewertung zu diesem Titel abgeben