Die Verwerfung : Eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg

Kummer, Lukas, 2015
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Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-943547-25-2
Verfasser Kummer, Lukas Wikipedia
Systematik Comic - Comics, Graphic Novels, Mangas in versch. Sprachen
Schlagworte Deutschland, Moral, Überleben, 17. Jahrhundert, Graphic Novel, Menschlichkeit, Comic 012, Kriegsopfer, Antikriegsgeschichte
Verlag Zwerchfell
Ort Stuttgart
Jahr 2015
Umfang 120 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache Deutsch
Verfasserangabe Lukas Kummer
Illustrationsang überw. Ill.
Annotation Quelle: 1000 und 1 Buch (http://www.1001buch.at/);
Autor: Ludwig Maximilian Breuer;
Zwei Schattengestalten in einer kargen Umgebung, ein paar tote Bäume. An einem Baum hängen acht nackte Leichen. Die Verwerfung des österreichischen Autors und Illustrators Lukas Kummer zeichnet eine (post-)apokalyptische Landschaft, in der das bloße Überleben zu einem unmenschlichen Kampf wird. Von Hunger und Not getrieben begegnet ein Geschwisterpaar Kälte, Leid und Menschen, die entweder den Verstand oder jegliche Moral verloren haben. Der Comic erzählt dabei nicht etwa von einer dystopischen Zukunftsvision, sondern zeichnet ein historisch fundiertes Deutschland Mitte des 17. Jahrhunderts nach. Nicht nur die Landschaft ist verroht, Gewalt und Pest lassen keinen Platz für Helden. Die beiden Kinder, die ihre Eltern ebenso an den Krieg verloren haben wie ihr Zuhause, schlagen sich durch diese lebensfeindliche Welt, jede Entscheidung könnte das Ende für sie bedeuten. Der Comic spiegelt in seinen stark reduzierten Bildern die Realität der Kinder ungeschminkt wider: Harte Konturen, Grau in Grau, tiefe Schatten, keine Schnörkel. Ihre Gespräche verhandeln den Zerfall und Verfall von Welt und Moral, die Figuren sind emotional distanziert und leugnen die Realität.
Die Lesenden sind die letzten, die noch Hoffnung haben, während sie das Paar begleiten, dessen Zusammenhalt stets auf der Kippe steht ebenso wie der Ausgang ihrer Reise. Lukas Kummer zeichnet ein düsteres Bild, das Lesende verunsichert und verstört zurücklassen kann. Und vor allem eines zeigt: Im Krieg gibt es keine Sieger.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Martin Reiterer;
Ein Debüt und ein selbstgebastelter Comic
Verschüttete Erinnerungen und verwüstete Landschaften
Eine graue, düstere Stimmung verbreiten, das können Franz Suess' verwaschene Bilder wunderbar. Und schwarze Flächen, die dabei eine herausragende Rolle spielen, sind bei Suess nicht einfach schwarze Flächen, sondern tatsächlich die Summe ihrer einzelnen schwarzen Striche, was in diesem Fall mehr ist.
Tanja, eine junge Frau, ist gerade umgezogen, in ein grindiges Viertel, daran lassen die Gespräche der zwei sich im Gastarbeiterdeutsch unterhaltenden Möbel­packer wenig Zweifel: "Gegend wild!". Später wird die Mutter noch ihr kompetentes Urteil dazu abgeben: "Ehrlich gesagt, das ist eine heruntergekommene Wohnung, Tanja, in einer heruntergekommenen Gegend."
Tanja ist eine Nebenfigur aus Zu Fallen und Weiter, Suess' bisher zweitem Comic aus seinem Eigenverlag. Auch Simon, von dem sie sich gerade getrennt hat, hat eine Vorgeschichte und ist nun zugleich eine Gegen- und Parallelfigur zu Tanja, die hier im Mittelpunkt steht. Es geschieht nicht allzu viel. Alltäglichkeiten, nörglerische Nachbarn - ziemlich Wienerisch -, eine nicht ganz reibungslose Mutter-Tochterbeziehung, deuten ein Umfeld an. Alles ist recht gewöhnlich. Doch dann sind da diese Gesichter im Fenster, das Tanjas neu bezogene Wohnung seltsamerweise mit der angeblich leerstehenden Nachbarwohnung verbindet. Und außer diesen Gesichtern Traumgesichter. Auch Träume liegen dem Ottakringer Zeichner: das Dunkel, die Schatten, das Überraschend-Verstörende, das Rätselhaft-Verwischte. Mit Radiergummi und Finger lässt sich das Schwarz verwischen, lassen sich Schichten erzeugen. Dazu passt der raue, fast grobe Strich, doch zugleich die vielen feinen Strichelchen, die die Bilder zerknittert wirken lassen und ihnen statt einer glatten Oberfläche etwas verborgen Hintergründiges verleihen. Diese Stärken des Comics sind bestimmender als die teilweise etwas holprige Dramaturgie, die etwa den Konflikt zwischen Simon und seinem Freund nicht sehr überzeugend erscheinen lässt.
Eine kurze Sequenz zeigt Tanja bei einem Gespräch mit einem Psychologen und wie sie zum Abschluss der Sitzung einen Vorsatz nur in Stichworten formuliert: "Mutiger sein Nicht so feig" "Konkret bei was?" Die Antwort wird ausgespart, so wie der Leser nicht ausdrücklich erfährt, was der Anlass dieser Psychotherapie ist. Die Trennung? Depression? Suess hat seinem Comic ein Zitat aus Woody Allens Another Woman (1988) vorangestellt: "I wondered if a memory is something you have or something you've lost." In Allens subtilem Film ist ebenfalls eine Frau, Marion, umgezogen, um sich auf ihre Arbeit an einem Buch zu konzentrieren. Die Wohnung stellt sich als ziemlich hellhörig heraus, durch einen Schacht sind die Stimmen der benachbarten psychologischen Praxis deutlich mitzuhören. Doch die Störung wird zur Herausforderung: Die erlauschten Erinnerungen und Reflexionen einer anderen Frau in Krise werden allmählich zu einer Spiegelung von Marions eigener Situation. Für die Protagonistin ist das der Beginn einer radikalen Selbstbesinnung. Dass Suess nun einige Anleihen aus Another Woman nimmt, ist für den Comic kein Nachteil. Von den zahlreichen Anspielungen abgesehen verlegt er die Geschichte zum einen vom Milieu der oberen Bildungsschicht auf ein prekäreres soziales Umfeld, zum anderen überträgt er die akustische Ebene der Stimmen mediengerecht auf die Ebene der Bilder und Traumbilder.
Das Motiv der Erinnerung entspinnt sich über den ganzen Comic, beginnend mit den Puppen der Kindheit, die Tanja nun wieder auspackt, nachdem sie bei Simon in der Kiste bleiben mussten. Sie stehen symbolisch für ein sozial oder individuell verhängtes Erinnerungsverbot, das Tanja nun nach und nach aufzuheben den Mut hat. Einen Höhepunkt erreicht die Geschichte in einem Traum, in dem die Protagonistin den Fußboden ihrer Wohnung aufreißt: "Bist du wahnsinnig? Was machst du da?", so ihre Mutter im Traum. "Ich will sehen, was da unten ist." Aus dem offenen Untergrund kommen haufenweise Asseln gekrochen, jene Tierchen, die für den Comic titelgebend sind: Isopoda. Von nun an geht es schlagartig weiter. Doch ist Tanja tatsächlich in die Nachbarwohnung eingedrungen? - Das ist letztlich unwichtig, denn die Nachbarwohnung ist lediglich ein Vehikel, der imaginäre Vorraum des Unterbewusstseins, das seine Arbeit aufgenommen hat, sobald die Entscheidung gefallen war, das Fenster in die eigene Erinnerung - auch gegen den Willen der Mutter - nicht mit einem Vorhang zu verhängen.
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Auf den ersten Blick erscheinen die Zeichnungen in Lukas Kummers Comicdebüt Die Verwerfung geradezu zierlich. Die kindlich-jugendlichen Gesichter der beiden Hauptfiguren tragen das Ihre dazu bei. Doch dieser Eindruck zerschlägt sich jäh, sobald man die Paneltexte dazu liest. Ein rauer Tonfall herrscht hier vor und bestimmt die Beziehung der Geschwister Krainer. Doch rau sind die Bedingungen, die verrohten Umgangsformen sind eine Folge: Wir befinden uns im Jahre 1646, womit auf das fortgeschrittene Stadium eines wütenden und verheerenden Krieges in Europa hingewiesen ist. Wie der Untertitel verrät, erzählt der Comic Eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg.
Es ist Winter, es ist frierend kalt, und die beiden Kinder stapfen bereits seit Stunden durch den Schnee, abseits von Straßen und Wegen, denn alles andere wäre zu gefährlich. Der ältere beschimpft seinen jüngeren Bruder, weil er schwächlicher und langsamer ist, eine Bürde. Der ältere? Erst der Lauf der Geschichte schafft Klarheit, dass es sich um den kleinen Bruder, Jakob, und die große Schwester, Johanna, handelt. Als Junge verkleidet hatte sie sich als Soldat verdingt, inzwischen sind sie fahnenflüchtig und irgendwie müssen sie den Winter überbrücken. Dann vielleicht besteht die Möglichkeit, dass sie sich einem Heer anschließen. Im Frühjahr gibt es Hoffnung auf einen Sold. Während der B 11c8 ruder schreiben lernen soll - so der Auftrag des verstorbenen Vaters -, um als Schreiber bei den Offizieren unterzukommen.
Doch vorerst gilt es, eine Bleibe für die nächste Nacht zu finden. Und etwas gegen den zehrenden Hunger. Die Galgenbäume dienen ihnen als Orientierung, als Wegzeichen des Kriegsgeschehens. Denn neben der richtigen Distanz wird die richtige Nähe zum Schauplatz des Krieges zum Hochseilakt des Überlebens. Das Leichenfleddern wird zum Alltagsgeschäft, die geplünderten, abgebrannten Bauernhöfe bieten vielleicht noch einen Unterschlupf. In vielen kleinen Details bezeugt der Tiroler Autor-Zeichner, dass er sich mit den Realitäten des Dreißigjährigen Krieges auseinandergesetzt hat: der Hunger, die nicht ungewöhnliche Ernährung von Wurzeln, Pflanzen, Kleintieren oder sogar von Menschenfleisch; die Gefahren der Vergiftung; die Verbreitung von Seuchen; das feindliche Verhältnis von Bauern und Soldaten; der Grad der Rücksichtslosigkeit zwischen unterschiedlichen Opfergruppen. Oder das an der Grenze der Glaubwürdigkeit angesiedelte Bild der Frau mit den abgefrorenen Zehen, die sie in ihrem Wahnzustand selbst verzehrt.
Die Galgenbäume, die wie groteske Installationen in einer von allen guten Geistern verlassenen Welt erscheinen und den ganzen Comic durchziehen, sind freilich Anspielungen auf Jacques Callots berühmte Serie Les Misères et les Malheurs de la Guerre / Das Elend und Unglück des Krieges (1633), deren Radierungen zu den eindrucksvollsten zeichnerischen Reaktionen auf die Gräuel des Krieges gehören. Doch ganz bewusst bewegt sich der Comic abseits von Schlachten und Gemetzeln. Die unwirtliche, verwüstete Landschaft in Schwarz-Weiß-Grau, in der sich die Hauptfiguren wiederfinden, und die mit reichlich Leichen besäten verlassenen Schlachtfelder sind das melancholische Echo dieses grauenvollen menschengemachten Krieges, der seine Opfer auf mannigfache Weise in eine verhängnisvolle Abhängigkeit treibt. Johanna, die Erzählerin der Geschichte, ist nicht zuletzt eine Art mutterlose Tochter Courage, die, selbst ein Opfer des Krieges, - inzwischen abgehärtet und abgeklärt - vom Krieg zu leben versucht: "Für mich kann es nur das Kriegsgeschäft sein."
Der Comic läuft Gefahr, zur Eindimensionalität einer fatalen Wirklichkeit oder Weltsicht zu geraten, die allerdings durch die Gegenfigur des kleinen grübelnden Bruders etwas aufgebrochen wird. Und zwar, indem er diese Fatalität zu benennen versucht, als "[d]as Vernichtende, was in allen Dingen ist" Nein: "Es ist nicht das Vernichtende, was in allen Dingen steckt. / Es ist das Selbstvernichtende."

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